Link und Lerke

Bezeichnung Wert
Titel
Link und Lerke
Untertitel
Roman
Verfasserangabe
Bernd Schuchter
Medienart
Sprache
Person
Auflage
1. Aufl.
Verlag
Ort
Innsbruck
Jahr
Umfang
153 S.
ISBN13
978-3-902866-07-3
Annotation
Quelle: Literatur und Kritik; #Autor: Robert Renk; #Reisen in die Vergangenheit mit dem Blick nach vorn#Neues vom Autor und Verleger Bernd Schuchter#Bernd Schuchter ist schon seit weit über einem Jahrzehnt in der Literaturszene tätig und das von Anbeginn als Autor und Verleger, was dem Rezensenten mit Blick auf das Geburtsjahr Schuchters er ist Jahrgang 1977 durchaus Respekt abringt. Seit zehn Jahren ist er nun Verleger des Limbus Verlages. Seine sechste eigenständige Publikation, der Roman Jacques Callot und die Erfindung des Individuums, erschien im Herbst 2016, freilich nicht in seinem eigenen, sondern im Braumüller Verlag.#Darin geht es um den Kupferstecher und Zeichner Jacques Callot, der mit seiner Kunst u.?a. auch den Dreißigjährigen Krieg dokumentierte. Rembrandt war ein Sammler Callotscher Werke, Francisco de Goya wurde durch einen Radierzyklus Callots inspiriert und selbst E. T. A. Hoffmann fand in ihm einen Seelenverwandten und nannte sein literarisches Debüt Fantasiestücke in Callots Manier. Was zeigt Callot dem Schauenden und Lesenden bis heute, vierhundert Jahre später? Dem geht Bernd Schuchter nach, und zwar buchstäblich, denn er besuchte die Orte einer Reise, die Callot nach Breda führt, wo er im Auftrag der Infantin Isabella von Spanien einen Stich zu Propagandazwecken anfertigen soll. Schuchter war in Nancy, der Geburtsstadt von Jacques Callot, um vor Ort noch nach Spuren zu suchen und zu recherchieren, ebenso wie im niederländischen Breda, an dem die Reise von Jacques Callot im Buch endet und der revolutionäre Stich »Die Belagerung von Breda« entsteht. Aber wer kennt Callot noch?#Schuchter muss wohl seit jeher einen Hang zu Pfaden abseits der gängigen Wege haben. Im Limbus Verlag führt er eine eigene Essay-Reihe! Und im Frühjahrsprogramm 2017 erschienen mit Cornelia Travnicek und Lydia Steinbacher gleich zwei Lyrikbände. Der Verlag glänzt auch mit hervorragendem Lektorat, das den Namen Merle Rüdisser trägt.#In den Büchern des Verlages, aber auch des Autors Bernd Schuchter erkennt man einen Blick, der am thematischen Mainstream scharf und gelassen vorbei schaut.#Im Roman Link und Lercke (2012) entdecken Ariel Link und Lerke Lang zusammengeführt durch ein Erbstück, einen alten Sekretär mit vielen Schubladen, Briefen und Geheimnissen die jüdische Geschichte von Hohenems und damit auch ihre eigene. Schuchter verhandelt auf knapp 150 Seiten das Thema Erinnerung en grand und en detail. 800 Jahre jüdisches Leben, sorgfältig recherchiert, vermischt Schuchter mit zwei gegenwärtigen fiktiven Biografien und schafft ein erzählkritisches Kabinettstück, das die penibel zu Tage geführten Erinnerungen auch wieder in Frage stellt.#Im Roman »Föhntage« von 2014 sind es wieder zwei fiktive Biografien, die uns nun in die Geschichte Südtirols und die der Südtirolersiedlungen in Innsbruck führen. Erzählt wird von Lukas, der in einem Alter ist, in dem »er mit Mädchen noch nichts anzufangen wusste«, ihm aber schon klar ist, »dass sie ihn interessierten«. Und neben Mädchen, der Fussballweltmeisterschaft 1990 und dem nächsten Italienurlaub interessiert ihn auch die Geschichte des alten Josef Lahner; Sohn eines Optanten, der sich nach Jahren des Schweigens selbst zur Rede stellt.#Und zuletzt eben die Beschäftigung mit Callot, zu dem Schuchter selbst meint: »Jacques Callot und die Erfindung des Individuums ist eigentlich weniger ein Roman, sondern mehr eine Art historischer Essay oder eine historische Miniatur, wenn man so will, ähnlich den historischen Biografien von Stefan Zweig wie Castellio gegen Calvin oder Joseph Fouché.«#Im Limbus Verlag erschien ergänzend zum Roman ein exquisiter Band mit Radierungen von Jacques Callot, die in ihrer Abgründigkeit und Detailgenauigkeit faszinieren. Der Radierzyklus Die großen Schrecken des Krieges ist eines der eindrücklichsten Dokumente zum Dreißigjährigen Krieg und Beweis dafür, dass auch in Kriegszeiten die Kunst nicht immer bloße Dienerin der Propaganda von Mächtigen und Zahlenden ist.#Ein Buch von Bernd Schuchter, das in Tiroler Buchhandlungen zum Bestseller avancierte, heißt folgerichtig Innsbruck abseits der Pfade. Darin zeigt Schuchter Ecken von Innsbruck, die weder »den Fremdenverkehr noch die Mitterersche Piefke-Saga repräsentieren«.#siehe auch: Bernd Schuchter: Jacques Callot und die Erfindung des Individuums.#Braumüller Verlag, Wien 2015, 176 Seiten.#Jacques Callot: Die großen Schrecken des Krieges, 18 Radierungen, mit einem Nachwort von Bernd Schuchter. Limbus Verlag, Innsbruck 2017, 64 Seiten.#Bernd Schuchter: Innsbruck abseits der Pfade. Braumüller Verlag, Wien 2015, 192 Seiten.#Bernd Schuchter: Föhntage. Braumüller Verlag, Wien 2014, 184 Seiten.## ---- #Quelle: Pool Feuilleton; #Manchmal umarmt ein Roman-Titel die Leserschaft mit einer Zauberformel die verspricht, dass alles gut ausgehen wird.#Link und Lerke ist so ein magischer Titel, der von vorneherein Optimismus ausstrahlt. Dabei widmet sich Bernd Schuchters Roman einem düsteren Kapitel der jüngeren Geschichte: an der Vorarlbergisch-Schweizerischen Grenze stranden immer wieder Flüchtlinge, die sich vor den Nazis in Sicherheit bringen wollen.#Ariel Link kommt in der Jetztzeit aus der Schweiz nach Hohenems, in die Heimatstadt seines Vaters, er hat eine seltsame Erbschaft gemacht, nämlich einen historischen Schreibsekretär, den ihm eine unbekannte Frau namens Meret Lerke aushändigt. Alles andere ist selbsterklärend, heißt es im Testament.#Link und Lerke stoßen also völlig spontan und von höherer Testament-Weisheit gesteuert aufeinander und versuchen die eigene Geschichte und die Gründe ihres Zusammenseins zu ergründen. Ariel Link lenkt sich dabei auf die richtige Spur, indem er beispielsweise das jüdische Museum in Hohenems besucht. Alle darin ausgestreuten Dokumente sind scheinbar zufällig aus dem halben Kontinent zusammengetragen, aber sie haben eines gemeinsam: die Geschichte ihrer Verfolgung und Ausrottung. Dabei ist eine Szene aus Litauen oder Riga genauso aufschlussreich wie der Kampf eines schweizerischen Beamten in St. Gallen, der Dokumente fälscht, um Flüchtlinge ins Land zu bringen. Natürlich wird dieser Held namens Paul Grüninger fristlos entlassen und bis zu seinem Tod 1972 vergessen und geächtet.#Warum hört denn diese Nachforscherei nicht auf, wo doch noch so viele von damals am Leben sind, sagt der freche Volksmund über diese Recherchen. Zynischer kann man es kaum beschreiben.#Als sich auf historischer Ebene für Ariel Link so allerhand geklärt hat, verlässt er das jüdische Museum als ein völlig anderer, weil ins Wesentliche vorgestoßener Mensch. Diese Aufklärung als überlebensnotwendige Erkenntnis erfährt literarisch noch eine fabelhafte private Komponente. In dem vererbten Sekretär sind in einem Geheimfach die obligaten geheimen Briefe versteckt, die das Intime dieser Erbschaft verraten: Link und Lerke sind Geschwister.#Bernd Schuchter wickelt den Wollknäuel der Zeitgeschichte in feinen Bewegungen zwischen den privaten und den öffentlichen Schlaufen auf. Die Figuren sind mit regionalen Erinnerungsstücken, epochalen Büchern und diffusen Gerüchten ausgestattet, die jeweils nach liebevoller Auseinandersetzung verlangen. Die Erkenntnis kommt still, wenn sie bescheiden zugelassen wird. Dabei ist nichts gewiss, sondern "so könnte es sein. So hätte es sein können." (16) Dieses literarisch ergreifende Motiv der Geschwisterschaft ist natürlich auch über die Protagonisten hinaus auf alle anzuwenden, die sich redlich um die Geschichte der Juden in Hohenems bemühen. - Eine reife Annäherung an ein nach wie vor rasendes Thema.#Helmuth Schönauer